Sujets

Biblisches

Das Sujet der biblischen Themen umfasst rund 270 Zeichnungen, die sich auf ausgewählte Episoden des Alten und Neuen Testaments und wenige Heiligenlegenden beziehen. Die Mehrzahl widmet Hegenbarth der Lebens- und Passionsgeschichte Jesu. Am Anfang seiner künstlerischen Laufbahn entstehen zwischen 1916 und 1928 Aquarelle und Leimfarben-Bilder zu Golgatha, Sündenfall, Brudermord und zum Turm von Babel. In ihrer Farbigkeit erinnern sie an gotische Kirchenfenster und böhmisches Glas. Ihr formaler Aufbau hingegen könnte durch barocke und volkstümliche Bildtraditionen angeregt sein. Hegenbarth ist katholisch geprägt. Da verschiedene Angaben über seinen frühen Hang zum Mystizismus und über seine spätere Einstellung zur Religion kursieren, bleibt Hegenbarths persönliche Motivation hinter seiner künstlerischen Arbeit schwer zu bestimmen.

Für die Zeit zwischen 1929 und 1946 ist kein Blatt belegt. Hegenbarths Interesse verebbt schon ab Mitte der 1920er Jahre, bis er das Biblische im Nachkriegsjahr 1947 mit dem Motiv ›Das rückwärtige Kreuz‹ vehement wieder aufgreift. Das in zwei Zeichnungen ausgearbeitete Motiv ähnelt der ungewöhnlichen Ansicht des Gekreuzigten in Caspar David Friedrichs ›Tetschener Altar‹ in Dresden (1807/08 mutmaßlich für Schloss Děčín an der Elbe gefertigt) und dient ihm wiederum als Vorlage für neun weitere Fassungen, die bis 1960 entstehen. Darin wie auch in der ›Predigt in den Trümmern‹ (1950 ff.) und in den publizierten einfarbigen Illustrationen zu ›Das Evangelium des Markus‹ (1950) bezieht Hegenbarth das Passionsgeschehen auf seine Gegenwart. Wie in Rembrandts Radierungen zur Passion, zu denen ebenfalls Parallelen gezogen werden können, taucht Hegenbarth die leidvolle Lebenswirklichkeit in dramatisch ausgeleuchtete Bildräume.

Die zugewandten Seiten des biblischen Geschehens, die etwa in der ›Auffindung Mose‹, in ›Heilige Nacht‹ oder in der ›Himmelfahrt‹ angerührt sind, streift der Künstler nur am Rande, zudem zeichnet er sie so düster wie das Gros der späten Bibelbilder. 1961, kurz vor seinem Lebensende, erarbeitet Hegenbarth im Auftrag des Düsseldorfer Architekten Hans Schwippert die 14 großen Pinselzeichnungen für den Kreuzweg der St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin. Hier verzichtet er weitgehend auf große Massendarstellungen, stattdessen können die schwarzen Pinselzeichnungen wie auch die Folge ›Letzte Passionsblätter‹ als unbeschönigter Ausdruck seines Menschenbildes, als Summe seiner Lebenserfahrungen verstanden werden. Diese Bildlösungen gewähren Einblick in Hegenbarths ikonografische Denkweise. In den anderen Sujets ist sie, thematisch vielfältiger in sein künstlerisches Konzept verwoben, weniger offensichtlich auszumachen. (vgl. Werner Schmidt, 1984; Christopher Breu, 2018)

Menschliches

Das rund 1.200 Zeichnungen umfassende Sujet stellt Köpfe, Akte und Einzelfiguren dar. Hegenbarth fertigt sie in der Mehrzahl als Porträts, die sich auf die Darstellung der Gesichter und Körper beziehungsweise Körperpartien konzentrieren. Ausgenommen davon sind wenige allegorische Einzelfiguren, Karikaturen, Situations- und Grußbilder.

Die weitaus meisten Bildnisse sind monochrom gearbeitet. Persönliche Attribute, zum Beispiel Pelzkrägen, Haarknoten, Hüte oder Kopftücher, nutzt Hegenbarth zur zeichenhaften beziehungsweise plastischen Modellierung der Körper. Die Porträtierten sind in Hegenbarths Umfeld zu suchen; etliche Modelle tauchen regelmäßig auf, jedoch scheint die persönliche Beziehung, auch zu ihm selbst, nicht das vorrangige Motiv der Darstellung zu sein. Lediglich neun Selbstbildnisse (einschließlich Rückseiten) sind verbürgt.

Hegenbarths Interesse richtet sich auf die unverwechselbare Physiognomie in einem speziellen Augenblick, wie der Bildvergleich im Überblick nahelegt. Er zeichnet das Individuum und zeigt ein Schicksal; er sucht das Eigenartige und findet ein mentales Grundmuster. Der soziale oder historische Kontext ist auch ohne seine explizite Darstellung in den Bildnissen wie die »in einer Hieroglyphe zusammengezogenen Fülle« präsent (Will Grohmann, 1959). Dies unterscheidet sie von den Szenen, in denen das ›Setting‹, die Interaktion und die vielfarbige Differenzierung für die Komposition von größerer Bedeutung sind.

Szenisches

Hegenbarth beobachtet und hält in Skizzenbüchern fest, was er um sich herum wahrnimmt. Auf planmäßig festgelegten täglichen Streifzügen durch die Stadt legt er einen Vorrat von Gesten, Haltungen, Ausdrücken und Spielorten an. Das Studium der Einzelfigur und historischer Szenen, die der Künstler für biblische und literarische Zeichnungen heranzieht, liefern einen weiteren Fundus. Daraus komponiert er seine rund 2.500 Zeichnungen umfassende Bilderwelt des agierenden und kontemplativen Menschen: in Menschenmassen auf Straßen, Rummelplätzen und im Karneval, als Zuhörende und Zuschauende in der Theaterloge, als Ausruhende auf der Parkbank und Müßiggänger im Gartenlokal, als Wartende und Eilende, als Arbeitende in den Kriegstrümmern und auf dem Feld.

Er überzeichnet das Alltägliche, nicht selten Banale in überraschenden Ausschnitten oder aus ungewöhnlichen Perspektiven. Damit lässt der Künstler die Betrachter an seiner Sicht auf die Umwelt teilnehmen: Diese zeigt er in manchen seiner Blätter auch als durchgearbeitete Wald- oder Stadtlandschaft, in der die Menschen nur als Randerscheinung vorkommen. Auf der formalen Ebene bieten ihm die soziologischen Studien den Raum für die »action in progress, die den Zeichnungen Hegenbarths ihre Überzeugungskraft gibt«, wie Will Grohmann es 1959 ausdrückt: »Hegenbarth läßt den dargestellten Wesen das Transitorische des Handelns, sie tauchen auf aus der Handlung, die schon vorüber, und sie greifen vor, als ob sie wüßten, was kommen soll.«

Akrobatisches

Tanz und Theater, Kabarett und Zirkuswelt ziehen den Künstler magisch an. Seit Mitte der 1920er Jahre entstehen hierzu mehr als 700 Zeichnungen in verschiedensten Techniken. Das Plötzliche, Spontane und Variable einer artistischen Vorführung oder eines Dressuraktes entspricht seinem zeichnerischen Prozess, der das Unmittelbare zum Vorschein bringt. Darin manifestiert sich »die Magie des Unwirklichen« (Josef Hegenbarth, 1959), die Hegenbarth unter dem Zirkuszelt und an anderen Vergnügungsstätten sucht.

Die Blickwinkel und Bildausschnitte wirken zuweilen wie durch eine Kamera gesehen: Das Auge des Künstlers müsste sich demnach zum Beispiel auf der Höhe der Luftartisten oder zwischen den Löwen in der Manege befinden. So entsteht der Eindruck des Realistischen im Unwirklichen beziehungsweise Unmöglichen. Vergleichbare Wirkungen erzielen die Panoramen simultaner Vorgänge. Die Schaustellerei ist auf die Optik angewiesen. Sehvorgänge thematisiert Hegenbarth durch die komponierten Beziehungen von Linien und Formen, zu denen für ihn genauso der leere Raum gehört. Hegenbarth nutzt den Illusionsakt auf der Bühne als Gelegenheit, die Ordnung seiner Figuren neu, das heißt bildmäßig, zu setzen. Damit wird der Blick gelenkt: in das Bild, aus ihm heraus und innerhalb der Darstellung, unterstützt durch Lichteffekte, dynamische Bewegungen oder auch Zeltgestänge und flatternde Bänder.

Die künstlerische Freiheit schließt dokumentarische Aspekte nicht aus. Selbst den zugespitzt vereinfachten Zeichnungen mit Feder oder Pinsel liegen exakte Beobachtungen zugrunde. Sie sind konkreten Nummern und Artistengruppen zuzuordnen, die längst Geschichte sind.

Tierisches

Das Tier erscheint vergleichsweise spät auf Hegenbarths Bildfläche. Womöglich sieht er sich mit diesem Sujet zu sehr im Schatten seines älteren Vetters, des Tiermalers und Dresdener Kunstprofessors Emanuel Hegenbarth. Erst einige Jahre nach dessen Tod 1923 beginnt Hegenbarth mit schlagartiger Sicherheit die Arbeit an großen Leimfarbenzeichnungen von Haustieren und Wildtieren. Das Sujet umfasst knapp 1.800 Zeichnungen in verschiedenen Formaten und in allen von Hegenbarth praktizierten Techniken. Das Tierstudium betreibt der Künstler im Dresdener Zoo, weshalb sich ein großer Teil der Darstellungen auf die dortigen Gegebenheiten bezieht. Doch beobachtet Hegenbarth auch Tiere seiner Umgebung, wo sie als Hausgefährten und Nutztiere vorkommen. Der streunende Hund taucht regelmäßig in allen Sujets auf; er könnte als Alter Ego des Künstlers gemeint sein.

In einer seltenen schriftlichen Aufzeichnung benennt er das beständig wechselnde Zusammenspiel von Farben, Strukturen und Mimiken, den Reichtum und die Schönheit der Natur als Quelle seiner Inspiration: »Man kann auch ein Schwein lieben, ob seiner großen ruhigen Form, trotz aller eingestreuten Faltenbündel.« (Josef Hegenbarth, o.J.). Die Praxis der Tierzeichnung kommt auch seinen szenischen und literarischen Bildentwürfen zugute. In Goethes ›Reineke Fuchs‹ spielen tierische Charaktere die Hauptrolle. Dafür erfindet Hegenbarth einen Figurentypus, der zwischen realistischem Abbild und Charakterstudie changiert sowie im zeichnerischen Duktus mit der Typografie zusammenklingt.

Die reinen Tierdarstellungen entwickelt er seit den frühen 1940er Jahren hauptsächlich als Kompositionen, die Elemente der Informel-Kunst vorwegnehmen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Modellierung der Körper und Hintergründe mit dem rauen Pinsel. Gelegentlich weisen die Darstellungen sinnbildhafte oder metaphorische Unterlegungen auf: zum Beispiel Tiere im Käfig, als Beutegreifer oder in einem Moment grotesker Verrenkung.

Märchenhaftes

Die sprichwörtliche Märchen-Erzählung gehört der mündlichen Überlieferung an. Diese ›Volkssagen‹ werden im deutschsprachigen Raum im Verlauf des 18. und 19. Jahrhunderts verschriftlicht und verschiedenen Bearbeitungen unterzogen. In der Wunderwelt der Märchen wimmelt es von sagenhaften Gestalten und Begebenheiten, die für Hegenbarth einen reizvollen Motivschatz darstellen. Bereits aus der Mitte der 1910er Jahre ist von Hegenbarth eine kleine Folge von Pinselzeichnungen über den Elfen-König Oberon und eine Aquarellzeichnung zu dem Märchen von den sieben Schwaben überliefert. Seine Neigung zum Sagenhaften belegen weitere Zeichnungen aus den 1920er Jahren zu vormals mündlich tradierten mythischen Stoffen wie das Gilgamesch-Epos, die Edda und das Nibelungenlied. Im Werkverzeichnis werden diese der Weltliteratur zugerechnet wie auch die Kunstmärchen von Wilhelm Hauff oder die Sammlung alter neapolitanischer Geschichten von Giambattista Basile.

Erst ab Mitte der 1930er Jahre entstehen ausführliche Entwürfe zu typischen Märchenstoffen. In Bildfolgen mit insgesamt 2.500 Zeichnungen illustriert Hegenbarth zwei große Märchensammlungen, die in diesem Sujet zusammengefasst sind: die ›Volksmärchen der Deutschen‹ von Johann Karl August Musäus und die ›Kinder- und Hausmärchen‹ der Brüder Grimm. Teile daraus variiert er mitunter mehrfach in verschiedenen technischen Fassungen. In den 1940er Jahren entwickelt Hegenbarth für die Märchen einen bilderbogenartigen Illustrationstypus, der mehrere Episoden auf einen Blick visualisiert. In Feder und Tusche spitzt er herausgegriffene Motive dramatisch und zeichenhaft zu.

Am Ende seines Lebens zeichnet Hegenbarth die Grimmschen Märchen in großen farbigen Blättern noch einmal überraschend neu: Das Narrative tritt zugunsten des Analytischen und Zeichenhaften zurück. Eine Auswahl aus dieser Bearbeitung und aus den Federzeichnungen wird posthum 1969 und 1976 im Leipziger Insel-Verlag publiziert. Sie zählen wie die literarische Folge zu Basiles ›Das Pentameron‹ (1958/59, Verlag der Kunst, Dresden 1974) zu den Meilensteinen unter Hegenbarths veröffentlichten Illustrationen.

Literarisches

Illustrare bedeutet Erleuchten. Hegenbarth liebt die Arbeit mit literarischen Stoffen und poetischen Bildern, die seine Fantasie zum Funkeln bringen. Sie entspricht seiner eigenen Lust zu (v)erdichten. 9.300 Zeichnungen, etwas mehr als die Hälfte aller Papierarbeiten, zeugen von den intensiven Ausleuchtungen der Weltliteratur. In seiner künstlerischen Entwicklung als Illustrator wird er von Beginn an durch professionelle Anleitung, erfolgreiche praktische Erfahrung und positive Resonanz bestärkt. Mitte der 1920er Jahre ist er mit den publizierten literarischen und ausgestellten Mappenwerken eine anerkannte Größe.

Seine frühesten Bildentwürfe beziehen sich auf archaische und romantische Liedgedichte. Hegenbarths Gilgamesch-Illustrationen gelten als erste Adaption im deutschsprachigen Raum seit der Entdeckung der altbabylonischen Textfragmente in der Mitte des 19. Jahrhunderts und ihrer Übersetzung ins Deutsche im Jahr 1891. Mit diesen und vielen weiteren Werken deutschsprachiger und internationaler Autoren, die heute zum Kanon der Weltliteratur gehören, steht Hegenbarth vor und nach dem ersten Weltkrieg im Zentrum neu entfachter kultureller Identitätsfragen. Ihn beschäftigen dabei vor allem die dramatischen Bedingungen des Menschseins. Das Komische und Tragische liegen für ihn eng zusammen. »Es gibt kaum einen Unterschied zwischen den ›Eilenden‹ im Großstadtverkehr und den Akteuren der Romane und Dramen.« (Will Grohmann, 1959) Entsprechend wählt und gestaltet Hegenbarth Stoffe wie Schillers ›Die Eroberung Magdeburgs im Jahre 1631‹, Cervantes’ ›Don Quixote‹ oder Gogols ›Tote Seelen‹.

Bei der Anlage der Illustrationen folgt Hegenbarth zunehmend einem formalisierten Gestaltungsprinzip. Mit linearen Schraffurgerüsten und schriftzeichenhaften Vereinfachungen strebt er eine formale Angleichung von Illustration und Satzbild an. Diese Entwicklung ist anhand des Werkverzeichnisses hervorragend nachzuvollziehen. Sie führt mit den zahlreichen Buchveröffentlichungen Hegenbarths seit den 1950er Jahren zu einer bibliophilen »Höhenlinie der Illustrationskunst des 20. Jahrhunderts« (Lothar Lang, 1967).

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